P. A. Berger u.a. (Hrsg.): Religionshybride

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Titel
Religionshybride. Religion in posttraditionalen Kontexten


Herausgeber
Berger, Peter A.; Klaus, Hock; Thomas, Klie
Erschienen
Wiesbaden 2013: Springer VS
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Maren Sziede

Der Sammelband Religionshybride. Religion in posttraditionalen Kontexten bietet einen Einblick in die Arbeit des DFG-Forschungsprojektes «Religionshybride – Kirchbauvereine, Gutshausvereine und alternative Gemeinschaften in Mecklenburg-Vorpommern», das an der Theologischen Fakultät und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock angesiedelt ist. Vorliegen-der Band präsentiert ein theoretisch anspruchsvolles Programm, das den Begriff «Religionshybride» theoretisch fundiert und als tragkräftiges religionswissenschaftliches Modell operationalisiert. Dies geschieht insbesondere in der ausführlichen und erfreulich präzisen Einführung von Peter Berger, Klaus Hock und Thomas Klie sowie im Aufsatz von Arnaud Liszka.

Das Material des Forschungsprojektes erläutern Peter Berger, Klaus Hock und Thomas Klie kurz in der Einführung und etwas ausführlicher Marlen Schröder, leider erst am Ende des Buches. Erforscht wurden Kirchbau- und Gutshausvereine sowie alternative Gemeinschaften im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns und ihr Engagement für die Renovierung und Erhaltung von Kirchen, Klötern und Gutshäusern sowie die vielfältige Nutzung dieser Gebäude (Konzerte, Führungen und grössere Events wie Mittelalter- oder Klosterfeste). Im Zentrum des Bandes stehen jedoch die sich aus diesem Material ergebenden theoretischen Fragen: Inwiefern hat sich um diese «symbolischen Orte» eine religionshybride Kultur posttraditionaler Vergemeinschaftung ausserhalb von klassischen religiösen oder sonst etablierten Institutionalisierungs- oder Organisationsformen gebildet?

Im Hintergrund dieser religionssoziologischen Fragestellung steht die von mehreren Autoren diskutierte Debatte um Säkularisierung, Entzauberung und die Rolle von Religion in postmodernen oder spätmodernen Gesellschaften. Entgegen der These vom Verschwinden oder der Unsichtbarkeit von Religion ist das Projekt auf der Suche nach sichtbaren «Spuren des Religiösen» (22). Zu Wort kommen dabei ebenfalls zwei Vertreter weiterer Theorien von zeitgenössischen Formen von Religion: Dorothea Lüddeckens, deren Konzept einer der «fluiden Religion» wie das der Religionshybride im Bereich jener Unbestimmbarkeit von Religion und Kultur angesiedelt ist, sowie Hubert Knoblauch und die «populäre Religion».

An die drei Schlüsselbegriffen Religionshybride, symbolische Orte und posttraditionale Gemeinschaften angelehnt ist die folgende Diskussion der Beiträge:
1. Religionshybridität wird unter Rückgriff auf das idealtypische Religionsmodell Detlef Pollacks (Vgl. ders., Säkularisierung – ein moderner Mythos?, Tübingen, Mohr Siebeck, 2003) zwischen Trans-zendenz und Immanenz, zwischen expliziter Religion und Nicht-Religion angesiedelt (Berger/Hock/Klie, 28; Liszka, 75–80). Die Autoren erweitern das Pollack-sche Modell um das «Mittelfeld» der Religionshybride, wobei sie zwischen religionsaffinen (mit explizit religiösem Bezug) und religionsäquivalenten Bereichen (die sich durch strukturelle Analogie zu Religion auszeichnen) unterscheiden (Berger/Hock/Klie, 28; Liszka, 75–82).

Die Problematik des Begriffs der Reli-gionshybride wird von mehreren Autoren aufgegriffen. Hybridität von Religion und Kultur, Religion und Politik setzt zwei (oder mehrere) distinkte Bereiche voraus, die erst im Prozess der Hybridisierung vermischt werden, während gerade eine solche eindeutige Unterscheidbarkeit religiöser Bewegungen zu hinterfragen sei (Schüler, 244f; Lüddeckens, 113; Knoblauch, 121f). Insofern ist der Begriff der Religionshybride ein Erbe des Synkretismus-Begriffs, welcher als Kontrastfolie zur klassischen Definition von Weltreligion als voneinander eindeutig unter-scheidbaren religiösen Traditionen fungierte (Schüler, 244f). Religionshybridität soll demgegenüber als heuristisches Instrument dienen, um den Fokus auf die Schnittstellen von Religion und Kultur zu legen (Berger/Hock/Klie, 25) und «auf die veränderten Strategien von Aneignung, Verhandlung und Umsetzung religiöser Identitäten in der Gegenwart» zu verwie-sen (Schü¬ler, 245).

Am Beispiel der alternativen Heilver-fahren Homöopathie und Reiki, die mit religiös aufgeladenen Sinnangeboten arbeiten, zeigt Dorothea Lüddeckens ein überzeugendes Anwendungsfeld des Religionshybride-Begriffs auf. Die Hybridität alternativer Heilverfahren lässt sich sowohl an religiöser Semantik («immateriell»/«geistartig», «Einweihung» etc.), als auch am Umgang mit der akademischen Medizin festmachen, wobei für die Autorin die durch die Hybridität der Praxis ermöglichte «Selbstermächtigung» (Winfried Gebhardt, s.u.) der Akteure – so¬wohl der Patienten als auch der Spezialisten – zentral ist.

Hubert Knoblauch dagegen betont die Differenzen zwischen Religionshybridität und dem von ihm geprägten Begriff der «populären Religion», dessen Transzen-denzbezug eindeutig sei und die «Sichtbarkeit der Religion» (122) betone.

Eine weitere begriffliche Alternative zur Religionshybridität schlägt Winfried Gebhardt vor. Er spricht von der «Entkontu-rierung der religiösen Landschaft» im Sinne einer Auflösung bestehender (kirch¬licher) Strukturen und Grenzen. Das an authen¬tischer gemeinschaftlicher Erfahrung interessierte, selbstermächtigte re¬ligiö¬¬se Subjekt wolle sich befreien aus einengenden Institutionen und verwische so die Grenzen von Sakralem und Profanem.

2. Der «symbolische Ort», so Arnaud Lis¬zka in seinem zweiten, ebenfalls an Theorie und Literatur reichen Aufsatz, steht in der Tradition der Durkheim‘schen Unterscheidung zwischen profanen und sakralen Räumen; die Suche nach heiligen Orten wird zum «Heimweh nach einer besseren Welt» (Eliade), das «selbst in einem tief säkularisierten, ‹entheiligten› Bundesland wie MecklenburgVorpommern» (148) zur Schaffung von symbolischen Orten führt. Die im Projekt erforschten Räume, Kirchen etwa oder Gutshäuser, würden neu «bespielt» und so zu symbolischen Orten.

Ein Beispiel für die Schaffung solcher Orte ist eine von Julia Gabler und Andreas Willisch beschriebene «Künstlerkolonie» in der Prignitz, deren «Vita creativa» zu einer «neuen Bürgerlichkeit» führt; ein Beitrag, der leider den Bezug zur im Band entwickelten Begrifflichkeit vermissen lässt. Die «transreligiöse» (198) Experimentierfreudigkeit alternativer oder intentionaler Gemeinschaften im religiösen Feld führe, so Iris Kunze, zu einer Produktivität von neuer «spiritueller Praxis» (195) – ein Begriff, der leider zu wenig erläutert wird. Sehr spannend liest sich die soziologische Analyse dieser «Raumpioniere», die sich u. a. in den ländlichen Gebieten Nordostmecklenburgs und oft in alternativen Gemeinschaften niederlassen, und ihrer ökonomischen, sozialen und idealistischen Motive von Peter Dehne.

3. Die im Projekt untersuchten Gruppen und Szenen werden als «posttraditionale» (Ronald Hitzler, Posttraditionale Vergemeinschaftung. Über neue Formen der Sozialbindung, in: Berliner Debatte INITIAL, 9 [1998], 1, 81–89), frei gewählte Formen von Sozialbindung durch Events oder Riten (begrenzte Dauer, nicht alltäglich) bezeichnet (29). Um diese ästhetischaffektiven Formen des Zusammenlebens zu charakterisieren, greift u. a. Reiner Keller auf Michel Maffesoli und dessen «Neo-Stämme» zurück. Die postmodernen Formen von Vergesellschaftung seien (im Unterschied zu modernen Formen) von ekstatischen Erfahrungen der Efferveszenz geprägt, würden nicht durch Zweckorientierung, sondern durch gemeinsame Erlebnisse und Gefühle zusammengehalten und wiesen daher einen starken Ortsbezug auf.

Eine Reihe sehr interessanter Beispiele beleuchten die Performanz posttraditionaler Gemeinschaften im letzten der drei Teile des Bandes. Thomas Käckenmeister weist auf die Ausseralltäglichkeit als wichtigstem Merkmal religionshybrider Performanzen in posttraditionalen Vergemeinschaftungen hin, etwa von Kloster oder Mittelaltermärkten. Kennzeichen der von Babette Kirchner untersuchten Beispiele, dem XX. katholische Weltjugendtag in Köln und dem Fusion Festival (elektronische Tanzmusik) in Lärz ist, neben deren Ausseralltäglichkeit, Efferveszenz: «die Vielen, die sich situativ ‹Eins› fühlten» (221). Wichtiges Kennzeichen posttraditionaler Vergemeinschaftung ist für Yvonne Niekranz deren Betonung der Affektivität: Die Suche nach – emotional gehaltvoller – Tradition führe zur «Koexistenz» (237) von «authentischen» Traditionen und «Posttraditionen» (worunter sie sowohl Adaptionen von Tradition als auch Innovationen versteht). Ganzheitlichkeit und soziales Engagement benennt wiederum Sebastian Schüler in einem exzellenten Aufsatz als Merkmale der evangelikalen 24/7-Prayer-Bewegung. Schüler konstatiert, und dies ist ein im Band eher zu kurz gekommener Aspekt, Hybridisierung nicht nur als (religions)wissenschaftliche Kategorie, sondern auch «in der Wahrnehmung der religiösen Akteure [...], welche die Ambivalenzen der Moderne und die Konsequenzen gesellschaftlicher Ausdifferenzierung in ihren Alltag integrieren» (245); Religionshybride bilden somit ein Gegenmodell zu religiösem Fundamentalismus (263).

Abschliessend reflektiert Hans-Georg Soeffner in einer historisch und ideengeschichtlich weitgespannten Darstellung über die sich verändernden Konstellationen und Beeinflussungen von Religion und Kultur, von Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft, über die Bedürftigkeit und Endlichkeit des menschlichen Daseins, die sich in komplexen Gesellschaften sowohl als Überhöhung des Individuums als auch in der Suche nach Rückkehr in die Gemeinschaft äussere.

Zitierweise:
Maren Sziede: Rezension zu: Peter A. Berger/Klaus Hock/Thomas Klie (Hg.), Religionshybride. Religion in posttraditionalen Kontexten, Wiesbaden, Springer, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 588-591.

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